Handelszeitung

| 30.06.14 | Von

«Der Finanzplatz Schweiz hat gute Argumente»

Der Chef des Medienkonzerns Ringier über das Verhältnis zu Deutschland und Start-ups in Afrika.

«Robin Lingg ist ein Why-notter!»
Marc Walder, CEO Ringier AG

Die Schweiz hat’s nicht leicht: Das Bankgeheimnis trägt nicht mehr, das Geschäftsmodell als Steuersparparadies ebenso wenig. Dazu kommt der Imageschaden um Volksabstimmungen zu Minarett-Verboten und Zuwanderung. Und nun liest den Eidgenossen auch noch einer ihrer prominentesten Landsleute die Leviten: Marc Walder, Vorstandschef des auch in Deutschland aktiven Verlagshauses Ringier (Cicero, Monopol, Blick).

Herr Walder, sind die Schweizer noch zu retten? Die Schweizer oder die Schweiz? 

Wenn Sie da Unterschiede machen, ist es schon verdächtig. Die Schweiz ist in einer diffizilen Situation. Zum einen der immense Druck aus dem Ausland auf das Bankensystem. Zum anderen die innenpolitische Debatte rund um das Verhältnis zur EU. Die Behauptung, mehr Kooperation mit der Europäischen Union würde der Schweiz schaden, ist sicherlich falsch. Insofern wäre eine isolationistische Tendenz gefährlich. Die Schweiz ist bislang gut gefahren mit der Anbindung an die EU. 20 Prozent des Bruttoinlandsproduktes entfallen auf Exporte in die EU. Da ist ein geregeltes, bilaterales Vertragswerk sinnvoll. 

Isolation oder Anbindung – was raten Sie Ihren Landsleuten? 

Den Weg einer engen Kooperation mit der EU zu gehen. Das heisst aber auch, die Unterschiede im Land zu verstehen, zu respektieren und anzuerkennen. Die Schweiz ist in Genf oder Zürich eine andere als in Herisau oder Gmyres. Hier diese enorm multikulturelle, global agierende und stark geschäftsgetriebene Comunity. Dort eine weiterhin sehr ländliche Schweiz, weniger weltoffen, besitzstandswahrend, vielleicht sich verschliessend gar. Das Besondere daran: all dies innerhalb von ein, zwei Stunden Autofahrt.

Helfen diese Extreme? Oder können sie irgendwann zu Zerreissproben führen? 

Deutsche Schweiz, französische Schweiz, italienische Schweiz – städtische Schweiz, ländliche Schweiz. Aber auch reiche und arme Schweiz – die Gegensätze auf engem Raum sind gross. Letztlich sind sie auch typisch für den Schweizer Föderalismus. Die direkte Demokratie scheint mir ein effektiver Garant für den Ausgleich zwischen den Unterschieden zu sein.

Das Problem des Landes ist auch ein finanzielles: Ihrem Land kommt gerade sein Geschäftsmodell abhanden… 

. . . als sogenanntes Steuerparadies, ja. Schauen Sie sich den Vergleich an, den die Credit Suisse mit den US-Behörden schliessen musste. Eine Zahlungvon 2,5 Milliarden Schweizer Franken ist schmerzhaft. UBS-Chef Sergio Ermotti meinte bei einem Essen: Die Schweiz ist mit Schwarzgeld reich geworden – wenn jeder, der damit viel Geld verdient hat, nun einen Schwarzen Peter bekäme, dann wäre die Bahnhofstrasse in Zürich voll davon.

Und das von einem der wichtigsten Banker Ihres Landes! 

Wer realistisch ist, sieht: Das bisherige – oder wollen wir sagen: ehemalige – Geschäftsmodell samt Bankgeheimnis war auf Dauer nicht in Einklang zu bringen mit den Interessen der Herkunftsländer, aus denen das hier gebunkerte Geld stammte. Unsere Banken müssen sich damit abfinden, dass es damit zu Ende ist. Und ich denke, sie haben sich bereits damit abgefunden.

Finden Sie die Strafen übertrieben? 

Sie sind eine logische Konsequenz: SchwacheVerhandlungspositionen ergeben immer schlechte Resultate.

Fällt es jedem Eidgenossen leicht das einzusehen? 

Es gibt sicher noch einige Widerstände – und wohl auch eine gewisse Ignoranz. Obwohl wir über Praktiken reden, die allenfalls bis 2009 aufrechterhalten wurden.

Sie meinen Steuertricks. 

Jedenfalls müssen alle durch dieses Nadelöhr der Aufarbeitung. Das ist schmerzhaft. Psychologisch. Und vor allem finanziell.

Was kann das künftige Geschäftsmodell der Schweiz werden? 

Der Finanzplatz Schweiz hat gute Argumente: Servicequalität, Sorgfalt, Stabilität, politische Sicherheit, Verlässlichkeit, Qualität. Vielleicht gar Innovation. Alles Werte also, die für dieses Land und seine Institute stehen. Den Banken geht es ein wenig wie den Medien: Äussere Umständc zwingen zu radikalem Umdenken. Bei den Medien war es die Digitalisierung. Und auch bei den Banken geht es nun um Effizienzsteigerung und Konsolidierung.

Was könnte die eidgenössische Finanzszenevon Ihnen lernen? 

Dass man anfangen muss, sehr schnell zu rennen. Und zwar viel früher, als man es je gedacht hat.

Peer Steinbrück wollte als Bundesfinanzminister die Kavallerie in die Schweiz schicken. Wie hat sich das Verhältnis Ihrer Landsleute zu Deutschland verändert in den vergangenen Jahren? 

Meine Frau ist Deutsche. Wir diskutieren das Thema der Deutschen in der Schweiz regelmässig.

Auch laut? 

Nein, nein. Es gibt diesen Mythos des nicht willkommenen Deutschen in der Schweiz. Angeblich sind sie den Schweizern zu direkt, zu forsch, zu laut, zu dominant. Ein Klischee, basierend auf der Tatsache, dass es selbstverständlich Deutsche gibt, die zu forsch, zu laut und zu dominant sind. Dies gepaart mit der Tatsache, dass mehr Deutsche in die Schweiz auswandern als in irgendein anderes Land, lanciert diese Debatte immer wieder neu. Aber wissen Sie, was ich regelmässig erlebe? Diejenigen, die sich beim Bäcker und beim Metzger über die vielen Deutschen aufregen, das sind vor allem andere Deutsche.

Zuletzt hat sich die Mehrheit der Eidgenossen dafür ausgesprochen, den Zuzug zu begrenzen. 

Die Einwanderungsinitiative wurde sehr knapp angenommen. Europa hat dies – zu Recht – kritisch kommentiert. Was niemand erwähnt hat – in vielen unserer Nachbarländern hätte eine solche Initiative ebenfalls Mehrheiten gefunden. Und vergessen Sie nicht, dass unsere Zuwanderungsrate wirklich sehr hoch ist, der Ausländeranteil mit 23 Prozent ist höher als in allen EU-Ländem, Luxemburg ausgenommen.

Nächstes Jahr soll über ein noch schärferes Einwanderungsrecht abgestimmt werden. Vielleicht will die Schweiz sich ja doch abschotten. 

Das Thema bewegt ganz Europa. Der Unterschiedder Schweiz ist deren direkte Dcmokratie. Doch dasVolk entscheidet meist weise. In den vergangenen hundert Jahren wurden gerade einmal 20 Volksinitiativen angenommen, ein Bruchteil der Eingaben.

Zuletzt stimmten die Schweizer allen Ernstes ab, einen Mindestlohnvon umgerechnet 18,50 Euro einzuführen… 

… und lehnten die Idee am Ende mit wuchtiger Mehrheit ab. Daran erkennen wir, wie sorgfältig und gesamtgesellschaftlich orientiert Schweizerinnen und Schweizer in der Regel ihr Wahlrecht nutzen.

Was ist der Schweizer für ein Mensch? 

Besitzstandswahrend, tendenziell eher konservativ, verlässlich, integer, eher vorsichtig, ordentlich.

Sind Sie ein typischer Eidgenosse? 

Meine Frau behauptet:ja. Ich selbst halte mich für weltoffener und risikofreudiger als der sogenannte typische Schweizer.

Wie drückt sich Ihre Risikofreude aus? 

Beispielsweise in meiner Arbeit. Ringier ist ein Medienhaus mit einer 180-jährigen Historie und 7500 Beschäftigten in 14 Ländem. Bis vor fünf, sechs Jahren haben wir hauptsächlich Druckereien geführt sowie Zeitschriften und Zeitungen produziert. Seither haben wir rund 1,4 Milliarden Franken in die Transformation unseres Geschäfts investiert, teils in komplett neue Felder. Für eine Grossbank wäre dies nicht viel, für uns als mittelständisches Familienunternehmen aber durchaus. Dazu braucht es eine gewisse Risiko-Bereitschaft im Management – sowie vor allem in der Eigentümerfamilie, also bei Michael Ringier und seinen beiden Schwestern.

Früher wollte Ringier alles selber machen, heute kaufen Sie andere Firmen. 

Es ist eine hochphilosophische Debatte, warum etablierte Unternehmen es beinahe nie schaffen, Neues zu erfinden. Und warum das Neue oftvon Start-ups und aus Garagen kommt. Gerade im digitalen Sektor. Auch wir sind mit manchen eigenen digitalen Projekten grandios gescheitert. Ich spitze das nun zu: Lieber geben wir heute 150 Millionen für ein bereits vorhandenes, bewährtes Geschäftsmodell aus, an das wir glauben, als dass wir selbst etwas ganz Neues aufdie Beine stellen.

Was kommt als Nächstes? 

Wir dachten bislang immer: Naja, nächstes Jahr wird es dann ruhiger. Doch das wird es nicht in der Medienindustrie. Der Rhythmus, sich anzupassen an das Neue wird atemberaubend hoch bleiben. Doch nicht immer kaufen wir. In Afrika gründen wir gerade. Und bauen tatsächlich auf.

Ein extremer Markt mit vielen armen Kunden… 

Ja. Aber auch eine gigantische unternehmerische Chance. Wir sind zurzeit in Kenia, Nigeria, Senegal und Ghana – mit acht Internet-Plattformen. Von denen sind fünf bereits Marktführer in ihren Bereichen. Bei mobilen Bezahlsystemen beispielsweise ist man dort vielerorts gar weiter als in Europa. Afrika hat die digitale Entwicklungsstufe PC/Laptop einfach übersprungen. In ein, zwei Jahren werden wir in sieben oder acht Ländern vertreten sein.

Verdient man dort schon Geld? 

Nein, aber vor 20 Jahren haben auchviele über uns gelacht, alswir mit einem Koffer Bargeld nach Osteuropa gefahren sind, um dort Zeitungen und Zeitschriften zu kaufen. Heute sind wir Marktführer in vielen Ländern. Das Geschäft, das wir dort gemeinsam mit Axel Springer führen, hat sich wunderbar entwickelt.

Das Afrika-Geschäft wird von Robin Lingg, dem Neffen von Michael Ringier, geführt. Wird er sein Nachfolger an der Spitze des Konzerns, wenn er’s schafft? 

Viele Geschäftsfelder unter dem Ringier- Dach sind hart – Publishing, e-Commerce, Radio, Ticketing. Aber keines ist härter, als Afrika aufzubauen. Robin Lingg macht das. Andere würden an seiner Stelle ihr Golf-Handicap verbessern. Er aber reist unermüdlich nach Accra, Lagos, Nairobi oder Dakkar – und baut Internet-Companies auf. Grossartig! Es gibt ja zwei Artenvon Managern: die Warumnicht-Typen und dieja-aber-Vertreter. Vor Letzteren sollten Sie übrigens davonrennen. Robin Lingg ist ein Why-notter!

Das Verlagsgeschäft ist nur noch eine von drei Säulen bei Ringier. Die anderen beiden sind Entertainment und Digitales. Wieviel Unabhängigkeit bleibt den Ringier-Journalisten da? 

Dieses Spannungsverhältnis zwischen journalistischer Unabhängigkeit und der Bedeutung von Werbepartnern gab es immer und wird es immer geben. Das müssen beide Seiten aushalten. Im Alltagsgeschäft spielt das keine Rolle, die Trennlinien sind klar.

Sie haben auch Stars unter Vertrag… 

… ja, in einer der Tochterfirmen. Aber das bedeutet nicht, dass die von unseren Redaktionen nur gelobt werden müssen.

Wenn Sie ein Konzert der Rolling Stones organisieren und am Ticketverkauf mitverdienen, darf Ihr Musikkritiker das Konzert kaum schlecht finden. 

Die Stones in Zürich waren grossartig. Wären sie das nicht gewesen, hätten der «Blick» oder die «Schweizer Illustrierte» das auch geschrieben. 

Welche Zukunft hat das Print-Geschäft generell? 

Es gibt jedenfalls immer wieder Belege dafür, dass es noch lange nicht so erledigt ist, wie manche Apologeten behaupten. Gerade habenwir die französischsprachige Qualitätszeitung «Le Temps» gekauft. Oder schauen Sie sich den Erfolg unseres Magazins «Landliebe» an… 

… das schon sehr vom deutschen Vorbild «Landlust»inspiriert ist. 

Wir hatten lange mit dem «Landlust»-Gründer verhandelt und wurden uns am Ende wegen einiger Details nicht einig. Dann sagte ich zu ihm: «Jetzt machen wir einfach das Gleiche!» Er wünschte viel Glück – das wir dann auch hatten. Am Ende wird es für unsere Branche nicht um die Frage «analog oder digital?» gehen. Die Amerikaner sagen: «We are overnewsed, but underinformed.» Man frisst dauernd Nachrichten-Fastfood in sich hinein, verliert aber den Überblick. Da müssen Medien Leuchtturm sein. Egal ob auf Papier, dem Laptop, dem Tablet oder dem Smartphone. Die Leser werden es uns danken. Auch in 20 Jahren noch. 

Herr Walder, vielen Dank für das Interview.

Das Interview führten Hans-Jürgen Jakobs und Thomas Tuma. (Handelszeitung)

VITA MARC WALDER 

Sportlich 

Bevor Marc Walder seine Karriere beim grössten Schweizer Medienhaus Ringier begann, hatte er bereits eine andere hinter sich: Zwischen 1984 und 1991 spielte der Manager professionelles Tennis und wurde zweimal Schweizer Meister im Doppel. 

Beruflich 

Nach seiner Ausbildung an der Ringier-Journalistenschule 1994 blieb er dem Verlag bis heute treu. Kontinuierlich arbeitete er sich in dem Konzern nach oben. Seit 2012 ist Walder CEO der Ringier AG. Ausserdem sitzt er in mehreren Verwaltungsräten von Beteiligungsgesellschaften. 

Privat 

Der gebürtige Sankt Gallener ist auch nach seiner Profizeit im Tennis in der Freizeit leidenschaftlicher Sportler geblieben. Zusammen mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern lebt Walder heute in der Nähe von Zürich. Walder ist 49 Jahre alt.